Für jede Straße
ein Lastenrad

Radverkehr

Florian Egermann im Interview

Lasse, Klara, Ella, Fietje, Bolle – nein, das sind nicht die beliebtesten Vornamen in Berlin-Prenzlauer Berg, sondern Namen von Freien Lastenrädern, die gerade die Städte zurückerobern! Das Prinzip ist einfach: Bundesweit stellen rund 80 Initiativen Lastenräder kostenlos zur Verfügung. Stationiert sind diese z. B. an der Uni oder beim Café um die Ecke. Die Stationen nehmen ein Lastenrad für einige Zeit bei sich auf oder schaffen selbst eines an, das sie betreuen. Online kann jede und jeder ein Lastenrad buchen, vor Ort persönlich abholen und nach transportierten Lasten wieder zurückbringen. Angefangen hat alles in Köln – mit Kasimir.

Interview von Lea Gröger (VCD)

wielebenwir e.V.

Herr Egermann, wann haben Sie angefangen, sich für das Thema Lastenrad zu interessieren?
Ich persönlich bin eigentlich kein typischer „Fahrradschrauber“, auch wenn das Fahrrad mein Hauptfortbewegungsmittel ist. Direkt nach dem Abi habe ich erst mal bei einer Werbeagentur angefangen. Nach ein bis zwei Jahren wurde mir dann aber klar, dass ich nicht länger in dieser Branche arbeiten möchte. So bin ich für ein Studium an der Kunsthochschule in Köln gelandet. Zusammen mit anderen habe ich dann den Verein wielebenwir e.V. gegründet. Unser drittes Projekt war »Kasimir«. Fahrräder, speziell Lastenräder, sind für mich eher Mittel zum Zweck, um weniger Autos in der Stadt zu haben und eine alternative Mobilität zu ermöglichen.

Was gab den Anstoß, dass Sie mit dem Projekt „Kasimir – Dein Lastenrad“ gestartet sind?
Der Grundgedanke war: Wir müssen beweisen, dass jeder ohne Auto in der Stadt wunderbar zurechtkommen kann. Wir wollten ein niedrigschwelliges Angebot für alle schaffen. Daraus ist dann unsere Kampagne entstanden, in der wir zeigen, wie Mobilität funktionieren kann: nämlich ohne fossile Brennstoffe, ohne Auto und ohne viel Platzverbauch, im nachbarschaftlichen gemeinsamen Teilen.


Das Freie Lastenrad-Sharing beruht auf dem Vertrauensprinzip. Damit unterscheidet es sich von anderen Lastenrad-Verleihern, die Geld verlangen. Worin sehen Sie die Vorteile von Freien Lastenrädern?

Wir wollten nie ein Lastenrad-Verleiher werden. Für uns ist Kasimir auch eher eine Kampagne. Wir wollten beweisen: Das funktioniert! Man kann auch ohne Auto mobil sein, wenn allen ein Rad zur Verfügung steht. Und das wird dann auch nicht geklaut oder kaputt gemacht. Diesen Beweis sind wir jetzt seit 2013 angetreten. Kasimir ist kostenfrei und für alle zugänglich. Dadurch, dass wir sowohl den Entleihenden als auch den Stationen Vertrauen entgegenbringen, haben wir einen riesigen Sympathie-Bonus bekommen. Wir sind in einer ganz anderen Situation als geldbasierte Verleiher. Wenn bei uns das Rad mal kaputt ist, können wir es erst mal nicht verleihen. Wir bekommen dann Nachrichten wie „Ach Schade, aber tolle Sache, macht weiter so!“. Wir arbeiten ja alle ehrenamtlich an dem Projekt. Da weht ein ganz angenehmer Geist durch und den möchten wir auch transportieren.

Und das funktioniert? Hat noch nie jemand das Lastenrad mal nicht wieder zurückgebracht?
Geklaut wurde Kasimir noch nicht. Kaputt ist er manchmal, aber das ist einfach Verschleiß. Er ist immerhin täglich in Köln unterwegs. Wir hatten nur schon den Fall, dass Menschen – in bester Absicht – (lacht) an ihm herum geschraubt haben, obwohl man dafür eigentlich Spezialwerkzeug braucht. Das zeigt aber einmal mehr, dass die Leute sich mit dem Projekt identifizieren.

Wie finanzieren Sie Kasimir, wenn das Ausleihen der Lastenräder kostenlos ist?
Wir bitten um Spenden, ganz ohne Vorgabe. Für die kleineren Reparaturen reicht das bisher auch aus. Wenn Räder komplett kaputt sind, dann müssen wir uns Förderungen suchen. Der Rest passiert ehrenamtlich: die Webseite, die Logistik und die Verwaltung. Ein schöner Nebeneffekt von dem Projekt ist auch, dass sich ganz viele Leute gemeldet haben, die Kasimir aufnehmen wollten. Und Leute, die angeboten haben, ihn zu reparieren, weil sie das Projekt toll finden. Dadurch ist dann auch eine Kooperation mit dem autonomen Zentrum entstanden. Die sind super! Da fahren wir den Kasimir alle paar Monate vorbei und dann wird er da repariert.

Der Gedanke der kostenlosen und freien Zugänglichkeit hat also im Laufe der Zeit viele Mitstreiter angezogen. Was hat sich seit dem Projektstart 2013 noch verändert – vor allem auch in der Stadt?

Anna Goldt

Lastenräder sind in Köln angekommen! Ich würde hoffen, dass wir da auch einen kleinen Anteil dran haben. Gerade am Anfang waren wir viel in der lokalen Presse. Dazu kommt, dass jetzt auch viele kommerzielle Anbieter in Köln unterwegs sind. Man sieht also insgesamt viel mehr Lastenräder auf den Straßen. Unser Projekt ist außerdem auf acht Lastenräder angewachsen. Da kommen auch immer wieder neue dazu. Das sind Räder, die von Stationen direkt angeschafft wurden, zum Beispiel vom ADFC oder AStA. Die kümmern sich um die Räder, sodass wir ganz organisch weiter wachsen. Als Verein wielebenwir e.V. kümmern wir uns nur um den Kasimir. Was sich zudem verändert hat: Die Bewegung der freien Lastenräder wächst! Ganz viel Zeit stecke ich in das Netzwerk Forum Freie Lastenräder. Wir wollten unser Wissen und unsere Werkzeuge weitergeben. Dafür haben wir ein Konzept entwickelt: ein Wiki, das online zu finden ist, eine Buchungssoftware, die wir OpenSource zur Verfügung stellen und wir bauen das Netzwerk aus mit einer jährlichen Konferenz. Da ist eine ganze Menge zu tun. Zurzeit arbeiten wir daran, das Wiki multilingual darstellen zu können und an der Version 2.0 der Buchungssoftware.

Ich stelle mir das recht kompliziert vor, selbst ein Lastenrad-Sharing aufzubauen. Was raten Sie Menschen, die das Freie Lastenrad-Sharing in ihre Stadt bringen wollen?
Ich würde diesen Menschen raten, auf dein-lastenrad.de zu gehen und zu gucken, welche Initiativen es schon gibt. Und dann mit einer, zum Beispiel aus der Nachbarstadt, Kontakt aufzunehmen. Alles was man braucht, ist eigentlich online bei uns zu finden. Um den Geist der Bewegung mitzukriegen ist es natürlich am besten, mit den Leuten direkt zu reden und sich auszutauschen. Deshalb wäre noch ein guter Tipp, zu unserer jährlichen Konferenz „Forum Freie Lastenräder“ zu kommen. Das ist die perfekte Veranstaltung, um die Leute dahinter kennenzulernen. Ich freue mich da jedes Mal drauf!

Und diese Konferenz findet jedes Jahr statt, immer in anderen Städten?
Genau, wir haben in Köln angefangen, dann war es Wuppertal, dann in Essen und in diesem Jahr haben wir uns dann mal über den Ruhrpott-Teller hinausgewagt nach Leipzig. 2019 wird es im Februar in Augsburg stattfinden.

wielebenwir e.V.

Wie bewerten Sie die Kaufprämie für Lastenräder, die dieses Jahr bundesweit in Kraft getreten ist?
Grundsätzlich finde ich das gut, frag mich aber auch, warum es nur für gewerbliche Lastenräder gilt. Es gibt genügend Kaufprämienbeispiele aus dem Automobilsektor, wo alle mit eingeplant sind. Eine Kaufprämie ist auf jeden Fall hilfreich. Für manche Unternehmerin oder manchen Unternehmer ist das vielleicht ein Argument, das endlich mal auszuprobieren. Und Kommunen planen ja jetzt auch noch eigene Förderprogramme für Private. Es ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein, aber auch ein gutes Beispiel.

Welche Rolle sollten Ihrer Meinung nach Lastenräder bei der Mobilität der Zukunft spielen?
Unsere Grundidee war „Für jede Straße ein Lastenrad.“ Und wenn es eine längere Straße ist, dann eben zehn (lacht). Das ist die Vision. Dann haben wir vielleicht nur noch die Hälfte der Autos in der Stadt oder ein Drittel, das wäre die große Hoffnung. Beim Forum Freie Lastenräder oder bei anderen fahrradaffinen Gruppen, da denkt man: „Das ist doch schon alles Konsens!“ Aber ich glaube wir müssen da noch ganz schön viel Überzeugungsarbeit leisten. Lastenräder sind leider immer noch so ein bisschen „Öko-Hipster-Avantgarde“, was schade ist. Aber Stück für Stück kommen wir da voran. Je mehr Angebote es gibt, je mehr Sichtbarkeit, desto besser.

Nutzen Sie denn auch selbst das Lastenrad?
Ja, ich nutze oft den Kasimir, habe privat aber kein Lastenrad. Meistens brauche ich ihn für größere Transporte aus dem Baumarkt oder so.

Und welches ist Ihr Lieblings-Lastenrad aus der Kölner Flotte? Ich schätze mal Kasimir?
(lacht) Der Kasimir war unser erstes Lastenrad, unser ganzes Konzept haben wir um ihn herum aufgebaut. Dem Kasimir wird man schwer den ersten Platz nehmen können. Aber jede Station, jedes Lastenrad, was von anderen reingebracht wird, hat seine Berechtigung. An der Uni haben sie Konstanze angeschafft, ein recht sportliches Lastenrad, beim Hotel Mado gibt es das Madomobil, das ist etwas gemütlicher… Jedes Modell ist auf seine Weise toll!

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