Ole Kamm/VCD

Wenn Bürger auf Parkplätzen…

Fußverkehr
Radverkehr
Wohnzimmer

... die Straße zurückerobern!

Irische Melodien erklingen über den Platz im Aachener Suermondtviertel. Die Straßenband »Precider« gibt traditionelle Irish Folk Lieder zum Besten. Wo sonst Autos am Straßenrand parken, sitzen Menschen zwischen Blumenkästen in Liegestühlen und hören der Musik zu. Anlässlich des PARK(ing) Day haben heute der VCD und andere Initiativen an der Harscampstraße/Ecke Lothringerstraße Parkplätze für Autos gesperrt und den Raum stattdessen den Leuten zur Verfügung gestellt: zum Entspannen, Begegnen und Kaffeeklatsch abhalten.

Von Ole Kamm (VCD)

Für Martin, den Sänger des Musiktrios, war der PARK(ing) Day bislang neu. „Anscheinend geht es um neue Verkehrsmöglichkeiten“, stellt er fest. Tatsächlich ist der Park(ing) Day ein seit 2005 international jährlich begangener Aktionstag, an dem Bürger und Initiativen alternative Nutzungsmöglichkeiten für Parkplätze aufzeigen und für eine nachhaltige Mobilität in den Städten werben. An jedem dritten Freitag im September gestalten Menschen Parkplätze zu grünen Oasen, Sitz- und Gastronomieflächen sowie Fahrradabstellplätzen um – und das weltweit.

Hier in Aachen regnete es am Vormittag noch. Inzwischen aber scheint die Sonne und trocknet die Pfützen. Zwischen den Infoständen vom VCD, ADFC und dem Carsharing-Anbieter Cambio wirbelt eine Frau mit kurzen grauen Haaren über den Platz. Sabine Neitzel ist im Vorstand des VCD in Aachen und wesentlich verantwortlich für die heutige Veranstaltung. Mal gibt sie Hinweise zum Bücherschrank, aus dem sich jede und jeder zum Schmökern bedienen kann. Mal hält sie einen kurzen Plausch mit Passanten. Immer blickt sie schelmisch durch ihre Brille. Was sie mit der heutigen Aktion im Suermondtviertel erreichen will?

»Wir zeigen, wie das Viertel mit mehr Platz für die Menschen sein könnte. Die Situation für Radfahrer an der Lothringerstraße ist sehr chaotisch. Heute haben wir eine Beschilderung vorgenommen, die es möglich macht, bequem durchzufahren und eine Verbesserung erfahrbar macht.«

Das Suermondt-Viertel bewegt sich

Um die Situation der Radfahrer im Viertel zu verbessern, hatte der VCD das Konzept für ein Radvorrangroutennetz entwickelt. Das bedeutet im Wesentlichen mehr Platz für Radfahrer und Vorfahrt an den meisten Kreuzungen, auffällig gestaltete Fahrradstraßen und eine langfristig gesicherte hohe Qualität. Den Entwurf haben Sabine Neitzel und der VCD schließlich mit einem Bürgerantrag in die politischen Gremien eingebracht. Mit Erfolg: Die Stadt Aachen nimmt Vorschläge aus dem Konzept auf und will das Suermondt-Viertel unter dem Motto »Quartier in Bewegung« urbaner, kreativer und vielfältiger gestalten. Neben einer Radvorrangroute will sie dafür auch einen „Premiumweg“ für Fußgänger durch das Viertel führen. Wie genau das aussehen soll, stellt die Stadt auch heute mit einem Infostand vor und tritt mit den Bürgern in Dialog – ein demokratischer Austausch, für den Verbände wie der VCD gesorgt haben.

Autofixiertes Deutschland

„Entschuldigen Sie, einmal die Dame! Darf ich Sie ein Stück mit der Rikscha fahren? Heute zahlt der VCD.“ Ein junger Mann in Fahrradhosen steht neben seinem überdachten Fahrrad mit zwei Rücksitzen hinter dem Sattel und wirbt für eine kleine Spritztour. Philipp Fichtner hat einen Humor, der um die Ecke geschlichen kommt. Er lacht laut und spielt den Entertainer für seine Fahrgäste. Heute hat ihn der VCD mit seiner Fahrradrikscha engagiert, um interessierte Passanten die geplante Radvorrangroute entlangzufahren und ihnen die Strecke zu zeigen. Sonst ist er mit seiner „Tourikscha“ in ganz Aachen unterwegs. Gerade diskutiert er mit den zwei Studenten Sven und Henning, die in den Liegestühlen ihr Pils genießen. „In Aachen mit dem Bus fahren grenzt an Masochismus.“ – „Ja, das liegt aber an den vielen Ampeln“, entgegnet Sven. „Und die gibt es nur, um den Autoverkehr zu ordnen. Gäbe es weniger Autos, hätten auch Bus und Bahn freie Fahrt.“ Sven stammt ursprünglich aus Düsseldorf und studiert seit 2011 in Aachen im Bereich Verkehrsplanung.

»Diese Autofixiertheit in Deutschland geht mir auf die Nerven. Aachen hat ja das Privileg an der Grenze zu den Niederlanden zu liegen. Jedes Mal, wenn ich da in den Städten bin, frag ich mich, warum es da so schön ist. Und dann komme ich wieder nach Deutschland und hier sind nur die Altstädte schön. Gerade in den umliegenden Vierteln können die deutschen Städte noch viel mehr für unsere Lebensqualität tun.«

Wege zu einer lebenswerteren Stadt aufzeigen und den Dialog zwischen Bürgern, Kommune und Vereinen schaffen: Dafür ist der jährliche PARK(ing) Day ein hervorragender Anlass. Sabine Neitzel jedenfalls ist zufrieden: „Da steckt natürlich auch Arbeit drin, so eine Veranstaltung zu organisieren. Aber wenn ich sehe, wie den Besuchern ein Licht aufgeht – Na klar, warum sollen hier überall nur Autos rumstehen, statt den Platz sinnvoller zu nutzen –, dann weiß ich: Der Aufwand hat sich gelohnt.“ Während sie das sagt, schaut sie wieder verschmitzt durch die Brille und sucht schon nach der nächsten Aufgabe, bei der sie mit anpacken kann.

Ole Kamm/VCD
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