Straße für Alle, Laura Schenk

Eine grüne Familienstraße

Aktivieren
Fußverkehr

Wie die Lothringer Straße in neuem Glanz erstrahlen könnte

Einst begehrte Wohnlage, heute mitunter Abstellfläche für Schrottautos – die Lothringer Straße in Gelsenkirchen hat schon bessere Zeiten gesehen. Wie sich das ändern ließe und warum wir eine Kita-Gruppe mit Fotoapparaten zur Erkundung losgeschickt haben.

In die Lothringer Straße im Gelsenkirchener Stadtteil Rotthausen verirrt sich selten jemand von außerhalb. Dabei hat die eher ruhige Seitenstraße mit ihrem direkt angrenzenden kleinen Park inklusive Spielplatz und einer Kita durchaus Potenzial. Einst zogen Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet hierher, um in den Gelsenkirchener Zechen zu arbeiten und waren stolz auf moderne Badezimmer mit Kohlebadeofen statt Toilette auf dem Flur. Alteingesessene erinnern sich, wie damals die Kinder des gesamten Quartiers in den Hinterhöfen und auf der Straße spielten. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das nun her. Heute wird in der Anwohnerschaft vereinzelt über Wegzug nachgedacht, weil man sich “in der Straße nicht mehr wohl fühlt”. Herumliegender Abfall ist ein Problem, in den letzten Jahren gab es viel Wechsel in der Nachbarschaft, teilweise wird die Straße von Rasern als kurze Rennstrecke genutzt. Wie kann hier eine Trendwende eingeleitet werden?

Die Lothringer Straße in Gelsenkirchen, MUST Städtebau GmbH

Im Projekt „Lebenswerte Straßen, Orte und Nachbarschaften“ haben wir gemeinsam mit den Anwohnenden und der Stadtverwaltung überlegt, wie die Lothringer Straße umgestaltet werden könnte.

Das Projekt wurde im Auftrag des Umweltministeriums NRW von einem Konsortium, bestehend aus dem Wuppertal Institut, der Emschergenossenschaft/Lippeverband und MUST Städtebau GmbH, umgesetzt. Die konkrete Umsetzung der Interventionen vor Ort erfolgte durch einen lokalen Eventmanager (Arens Veranstaltung) und war nur durch die Unterstützung der beiden Städte Dortmund und Gelsenkirchen möglich. Weitere Infos zu den Beteiligten finden sich hier.

Ein erster Eindruck: Gespräche mit Anwohnenden und ein Blick auf die Straße mit Kinderaugen

Gespräche mit Menschen aus der Straße zeigten den einhelligen Wunsch nach mehr Begrünung. Als störend wurden ortsfremde Anhänger und PKW empfunden, die teilweise sichtbar beschädigt oder ohne Kennzeichen auf dem Parkstreifen abgestellt

wurden. Da sich in der Straße eine Kita befindet, hat uns vor allem interessiert wie Kinder die Straße wahrnehmen. Ausgerüstet mit Einwegkameras begleiteten wir insgesamt 15  Vier- und Fünfjährige aus der ansässigen Kita auf einen Entdeckungsspaziergang, um zu beobachten und herauszufinden wie Kinder die Straße nutzen, was für sie spannend ist und was sie stört. Aus dem Spaziergang ergab sich eine durchaus positive Bewertung des Quartiers aus Kindersicht mit natürlichen Kletterbäumen, vielen Möglichkeiten zum Balancieren und verschiedenen Spielgeräten in dem kleinen Park mit Spielplatz. Eine Menge Hundehaufen sowie vereinzelt freilaufende Hunde und schnell fahrende Autos trübten das Bild.
Mit diesen Rückmeldungen von großen und kleinen Anwohnenenden entwickelten wir “Zukunftsbilder”, um zu zeigen, wie die Lothringer Straße einmal aussehen könnte.

Mehr Raum für Aktivitäten

MUST Städtebau GmbH

Im ersten Entwurf wird die Lothringer Straße in eine bunte Spielstraße für jedes Alter verwandelt. Tischtennisplatten, Kletterwände, Rutschen und ein Wasserspielplatz ermöglichen ein breites Spektrum an Aktivitäten. Die Einführung einer Einbahnstraße reduziert den Verkehr und senkt den Platzbedarf der Fahrbahn.

Mehr Raum für Grün

MUST Städtebau GmbH

In dieser Variante wird der Schwerpunkt auf eine klimawandelgerechte Gestaltung gelegt. Beete werden im Sinne der Schwammstadt so angelegt, dass sie das anfallende Regenwasser aufnehmen und durch Verdunstungskühle für ein angenehmes Mikroklima sorgen.

Mehr Raum für Begegnung

MUST Städtebau GmbH

In der dritten Variante bleibt keine Asphaltschicht auf der anderen und die beiden Straßenzufahrten enden in einer Sackgasse. So entsteht ein neuer, autofreier Quartiersplatz, der die Lothringer Straße zum Treffpunkt des ganzen Viertels werden lässt und Raum bietet für Wochenmärkte, Feste und andere Veranstaltungen.

Die Lothringer Straße ein Wochenende als Oase

Die schönen Zukunftsbilder sind das eine, die Umsetzung in die Realität das andere. Um sie erlebbar zu machen und mit der Anwohnerschaft in’s Gespräch zu kommen, ließen wir die Straße für ein Wochenende sperren und verwandelten die Fahrbahn und Parkplätze in eine kleine Oase ohne Motorlärm, dafür mit viel Grün, Liegestühlen und Spielgeräten. Die Kinder konnten sich frei bewegen und austoben, ohne dass sie oder ihre Eltern auf gefährlichen Verkehr achten mussten.

Viele Menschen aus der Lothringer Straße und dem Quartier kamen an dem sonnigen Wochenende zu Besuch, um über die verschiedenen Zukunftsbilder zu diskutieren. Dabei kam oft die Freude zum Ausdruck, dass sich etwas tut in ihrem Stadtteil und der Straße. Der bestehende Spielplatz wurde von den meisten Anwohnenden positiv gesehen und eine Aufwertung und Erweiterung hin zur Straße befürwortet. Dabei wurde ein Augenmerk auf die Sicherheit der spielenden Kinder in der Nähe der Straße angemahnt, beispielsweise durch Reduktion des Verkehrs, verlangsamtes Fahrtempo und freie Sichtachsen.

Platz zum Spielen statt Abstellfläche, Laura Schenk

Weitere Ideen betrafen die an den kleinen Park angrenzende Kita. Neu eingerichtete Hochbeete könnten von den Kindern bepflanzt und gepflegt werden. Eine stärkere Präsenz der Kita auf dem Spielplatz könnte zudem durch soziale Kontrolle eine Verbesserung bei den Problemen mit Hundekot und herumliegendem Abfall bewirken.

Wie geht es weiter?

Auf Basis der zahlreichen Rückmeldungen entwickeln wir derzeit eine Vorzugsvariante, die Elemente aus den drei Zukunftsbildern kombiniert. Danach ist die Kommunalpolitik am Zug, denn sie muss entscheiden, ob die Planungen wirklich umgesetzt werden. Eine ambitionierte Umsetzung wäre planerisch und finanziell anspruchsvoll, doch die Zukunftsbilder und das Experiment Wochenendoase zeigen, dass sich die Mühen lohnen würden. Denn so könnte wieder eine Straße für alle entstehen, in der Kinder gemeinsam spielen und sich die Nachbarschaft trifft – wie damals, in der Zeit der Kohlebadeöfen.

Weitere Infos hier  und auf YouTube.

 

Jetzt teilen!