Foto: Robert Bye

Gutes Leben
für alle!

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Aktionstag wirbt für Postwachstum, auch in der Verkehrswende

Kleidertausch, Fahrradtouren und Upcycling-Workshops: Am Aktionstag „Gutes Leben für alle! Global Degrowth Day“ können Menschen die Gesellschaft ohne Wachstum und übermäßigen Konsum erleben und diskutieren. Im letzten Sommer fand der Tag zum ersten Mal statt. Am 1. Juni 2019 folgt nun die zweite Auflage. Wir haben uns mit den Initiator*innen Anne und Arndt Jacobi über das gute Leben, Postwachstum und die Verkehrswende unterhalten.

Interview von Lisa Buchmann (VCD)

 

Foto: A. Jacobi

Letztes Jahr fand der Aktionstag „Gutes Leben für alle“ zum ersten Mal statt. Worum geht es dabei?
Viele Menschen fühlen sich überfordert angesichts der verschiedenen Krisen auf der Welt: Erderhitzung, Verlust der Biodiversität, wachsende Ungleichheit. Selbst wer etwas dagegen unternehmen will, kämpft mit der Frage, was ein*e Einzelne*r schon tun kann. Der Aktionstag zeigt hier, was wir tatsächlich gemeinsam tun können, damit alle Menschen und zukünftige Generationen ein gutes Leben haben können. Weltweit finden dezentral Veranstaltungen und Aktionen statt, die Ideen und praktische Ansätze jenseits von Wachstum sichtbar machen. Zugleich stärkt der Aktionstag den Kontakt zwischen den Initiativen. Sie verstehen sich noch mehr als Akteure einer gemeinsamen Postwachstumsbewegung und wirken besser zusammen.

Was heißt „Postwachstum“ genau?
Gutes Leben setzt eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform voraus, die das Wohlergehen aller Menschen zum Ziel hat und die Umwelt schützt. Dafür muss sich unsere derzeitige Lebens- und Produktionsweise grundlegend verändern. Ein kultureller Wandel ist notwendig. Nicht mehr Wachstum ist dann der höchste Wert der Gesellschaft, sondern Achtsamkeit, Entschleunigung, Solidarität und Kooperation. Dafür müssen Länder und besonders der globale Norden schonender mit Ressourcen umgehen und die Produktion sowie den Konsum immer neuer Güter zurückfahren. Das steckt hinter Postwachstum oder auch Degrowth.

Woher stammt die Idee zum Aktionstag „Gutes Leben für alle“?
Wir haben die Idee im Oktober 2017 bei einem Degrowth-Vernetzungstreffen in Witzenhausen eingebracht. Schon am 23. Juni im Jahr darauf fand der bundesweite Aktionstag zum ersten Mal statt. Im August 2018 fand sich auf der Degrowth-Konferenz in Malmö dann die Arbeitsgruppe „Activists and Practitioners“ zusammen.

Foto: A. Jacobi

Ein erstes Projekt der AG ist, den „Tag des guten Lebens für alle“ mit dem bereits etablierten, internationalen „Picnic for Degrowth“ zusammenzuführen. Den Aktionstag unterstützen viele Initiativen und Organisationen, in Deutschland u. a. Attac, die BUNDJugend und der Deutsche Naturschutzring.

Was ist im letzten Jahr passiert?
In über 40 deutschen Städten fanden mehr als 70 Aktionen statt – von Kleidertauschparties, Fahrradtouren zu „Wandel“-Orten, veganen Food Swaps über Parking-Day-Aktionen und Fahrraddemos bis zu Upcycling- und Radreparatur-Workshops. Die Resonanz war sehr gut und wir bekamen schon kurze Zeit danach einige Anfragen, wann es den Aktionstag im nächsten Jahr gibt.

Und wann gibt es den nächsten Aktionstag? Was plant ihr für 2019?
Unter dem Titel „Gutes Leben für alle! Global Degrowth Day” finden am 1. Juni 2019 an vielen Orten weltweit Aktionen und Veranstaltungen statt. Dieses Mal soll ein besonderer Schwerpunkt auf dem konvivialen, geselligen Aspekt liegen. Das Format dafür ist ein Picknick: Wandel beginnt oft bei einer entspannten Unterhaltung mit gutem Essen. Die Planungen laufen noch, aber es gibt schon konkrete Aktionen zum Beispiel in El Salvador und in Montreal! Auch in Deutschland wird es Veranstaltungen geben, etwa in Berlin und am Bodensee. Und natürlich planen wir selbst den Tag in Kassel.

Foto: A. Jacobi

Welche Rolle spielt eigentlich Mobilität in der Degrowth-Bewegung?
Verkehr ist heute zu einem großen Teil durch Gütertransport verursacht. In einer Postwachstumsgesellschaft würde dieser Verkehr stark abnehmen. Es wird schlicht weniger produziert, konsumiert und daher auch weniger transportiert. Auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig gab es eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Low-Cost und solidarische Mobilität: Real existierende Alternativen“. Dort ging es um eine Mobilität, die umweltverträglich, kostengünstig, solidarisch hergestellt wird : zu Fuß, mit Fahrrädern, per Bus und Bahn. Es muss möglich sein, die Alltagsbedürfnisse durch Nahversorgung in Fuß- oder Fahrrad-Distanz zu befriedigen. Stichwort ist hier die „Stadt der kurzen Wege“. Die Freizeitmobilität wäre in einer Postwachstumsgesellschaft nicht mehr auf Geschwindigkeit fokussiert: Wird weniger produziert und konsumiert, müssen die Menschen auch weniger arbeiten. Sie haben dann überhaupt erst die Zeit, den Weg zum Ziel zu machen und entschleunigt zu reisen. Entschleunigung ist ein wesentlicher Teil des „guten Lebens“! Lieber Segelschiff als Flugzeug, lieber Fahrradtour als Malediven-Kurztrip.

Wie hängt euer Engagement beim VCD mit dem Global Degrowth Day zusammen?
Für uns gehört zum „guten Leben für alle” auch weniger motorisierter Verkehr: Er ist laut und gefährlich, und Straßen zerstören die Landschaft. Deshalb engagieren wir uns beim VCD. In Kassel setzen wir uns für bessere Fahrradinfrastruktur ein und sind beim Radentscheid Kassel aktiv. In einer lebenswerten Stadt, wie wir sie uns vorstellen, gibt es keine parkenden Autos mehr. Die Stadt ist so kompakt angelegt und die Infrastruktur so verteilt, dass die Hauptverkehrsmittel Fuß und Rad sind. Die Fußgänger*innen geben überall die Geschwindigkeit vor und müssen keine Verkehrsregeln beachten. Das müssen nur die schnelleren Fahrzeuge. Uns gefällt hier die Vision, die Marcel Hänggi im Buch „Die Andere Stadt“ beschreibt: „Bei gutem Wetter tragen die Leute ihre Tische auf die Straße, um zu essen, stellen Fußballtore auf. Für Fahrzeuge weicht man zur Seite, doch käme es keinem Fahrer in den Sinn, ungeduldig zu werden, wenn die Bocciaspielerin zuerst noch ihre Kugel wirft, bevor sie das Fahrzeug durchwinkt.”

Foto: Lee Myungseong

Wir fänden es schön, wenn der VCD seine Ideen, die Straßen für Menschen von den Autos zurückzuerobern, am Global Degrowth Day für viele Leute sichtbar macht.

Was bedeutet das „gute Leben“ für euch persönlich?
Gutes vegetarisches Essen, mit anderen zusammen Kochen, kein Auto, Fahrradtouren, Wandern, Entdeckungen in der Natur, Aktionen mit netten Leuten, Zelturlaub, Vogelstimmen, Lesen, Gärtnern im Gemeinschaftsgarten, Musik hören und machen, kein Zwang zur Erwerbsarbeit. Und: nicht auf Kosten anderer leben müssen!

 

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