Michael Palatini

Wenn euch etwas nicht gefällt,
dann könnt ihr das ändern!

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Franziska Briese im Interview

Auch in Magdeburg ist der Immobilienboom inzwischen angekommen. Im Ortsteil Stadtfeld kümmern sich Franziska Briese und Maria Camila Ruiz Lora deshalb seit Sommer 2016 als Geschäftsstraßenmanagement um die nachhaltige Aufwertung der Einkaufsstraßen im Quartier. Nach dem erfolgreichen „Urst urbanen Straßenfest“ im letzten Jahr gab es im Mai 2018 eine Neuauflage. Im Interview erzählt Franziska Briese, warum sie die Straßenfeste organisieren und wie ein lebenswerter Kiez in ihren Augen aussehen muss.

Interview von Lea Gröger (VCD)

Frau Briese, wie können wir uns Stadtfeld vorstellen? Was ist das für ein Kiez?
Der Begriff Kiez ist in Magdeburg gar nicht so verbreitet. Aber wenn man so will, ist Stadtfeld hier von allen Stadtteilen der „kiezlichste“. Wir sagen immer ganz liebevoll: „Stadtfeld ist das kleine Prenzlauer Berg von Magdeburg.“ Es gibt viel Altbaustruktur, ein großes zusammenhängendes Gründerzeitviertel, kleine Cafés und süße Lädchen, einen riesengroßen schönen Spielplatz, wo sich alle treffen, den Unverpackt-Laden – es hat also schon ein bisschen diesen Kiez-Charakter. Im Moment ist der Stadtteil auch enorm abgeschnitten. Das Nadelöhr, das den Stadtteil mit der Innenstadt verbindet, ist schon seit ein paar Jahren dicht und wird es weiter bleiben, da dort ein City-Tunnel gebaut wird. Ich finde, seitdem merkt man, dass sich das Leben hier in Stadtfeld so ein bisschen auf sich selbst konzentriert.

Maria Camila Ruiz Lora

Seit etwa zwei Jahren sind Sie jetzt Geschäftsstraßenmanagerin in Stadtfeld. Was sind da Ihre Aufgaben?
Ich habe ganz viele Aufgaben! Vor allem eine Kommunikationsaufgabe mit einer moderierenden, aber auch initiierenden Funktion. Ich stoße Dinge an oder Leute kommen mit Ideen zu mir und ich berate und unterstütze sie dann. Es geht hauptsächlich darum, die zwei Geschäftsstraßen im Viertel als Wirtschaftsstandort zu stärken und attraktiver zu machen. Dann betreibe ich noch Leerstandmanagement, natürlich nur im ganz kleinen Stil, dafür aber erfolgreich. Ich bringe Kontakte zusammen, wenn Läden frei werden und ich von Menschen weiß, die ein Ladengeschäft suchen.

Und wie sind Sie zu dem Job gekommen?
Ich habe vor zweieinhalb Jahren angefangen, bei der META architektur GmbH zu arbeiten. Dann hat die Stadt die Aufgabe des Geschäftsstraßenmanagements ausgeschrieben und das Architekturbüro hatte Interesse an dieser Aufgabe. Mein Chef fragte mich damals, ob ich mir vorstellen könnte dabei die Leitung zu übernehmen und ich habe sofort Ja gesagt. Ich mag den Stadtteil sehr und hätte das auch für keinen anderen Stadtteil machen können, weil diese Aufgabe natürlich auch mit viel Herzblut verbunden ist. Am Ende haben wir dann den Zuschlag bekommen.

Dann haben Sie im letzten Jahr zusammen mit den Anwohnern eine Kreuzung im Kiez zurückerobert. Anfang Mai 2018 gab es nun eine Neuauflage des Urst Urbanen Straßenfestes. Was war dieses Jahr Thema?

Wenzel Oschington

Die META architektur GmbH arbeitet nach dem Motto „Urbane Zukunft gestalten“. Und in Magdeburg setzt jetzt so ein bisschen das ein, was andere Städte schon erlebt haben. Man merkt, dass die Stadt attraktiver wird, die jungen Leute bleiben nach dem Studium hier. Bei unserem Urst Urbanen Straßenfest ging es deshalb in diesem Jahr um das Thema „Wem gehört der Stadtraum?“, „Wie kann ich eigentlich aktiv meine direkte Umgebung mitgestalten?“. Es ging darum die Hürde zu senken, selbst aktiv zu werden. Wir haben also eine Brachfläche besetzt und bis zum Herbst ein Beachvolleyball-Feld daraus gemacht. Seit unserer Eröffnung beim Straßenfest ist da jeden Tag was los. Das ist wirklich unglaublich, als hätten die Leute darauf gewartet! Alles ist sehr selbstorganisiert, wir haben ein paar charmante Spielregeln aufgestellt, sodass der Platz von den Menschen gepflegt wird und das funktioniert hervorragend. Es gibt nicht ein bisschen Vandalismus, es liegt kaum Müll rum! Da sind jeden Tag Menschen, viele Sportler, aber auch Familien, die dort einfach gemütlich sitzen und Eis essen. Und das war auch die Botschaft, die wir senden wollten: Wenn euch etwas nicht gefällt, dann könnt ihr das auch ändern! Wir wollen den Nachbarschaftsgedanken, den Kiezgedanken stärken. Wir sind ganz beseelt, dass das so gut funktioniert.

Das hört sich nach viel Arbeit an. Gehört die Organisation eines solchen Straßenfestes denn zu den klassischen Aufgaben einer Geschäftsstraßenmanagerin?
In der Tat, ja! Es gehört natürlich auch deshalb zu meinen Aufgaben, weil die Feste am Tag der Städtebauförderung stattfinden und ich aus diesen Fördermitteln finanziert werde. Man könnte auch was Kleineres machen, wir fahren hier immer ganz schön auf (lacht). In diesem Jahr kamen 1.500 Besucher, das war bombastisch, es hätte nicht besser laufen können. Unsere Idee dahinter ist ja auch, mitzugestalten, zur Beteiligung aufzurufen. Wir konzipieren bei diesen Veranstaltungen jedes Mal auf den Stadtteil abgestimmte Beiteiligungsformate und Partizipationsangebote. Denn die Ergebnisse daraus fließen direkt in meine Arbeit ein, in enger Verbindung mit dem Stadtplanungsamt. Die warten jetzt auch schon auf die Ergebnisse. Was wir jetzt schon sehen ist, dass der Volleyballplatz die Nachbarschaft belebt. Das war vorher eine sehr unansehnliche Brachfläche, wo immer wild plakatiert wurde, Scherben und Hundekot rumlagen – das ist jetzt nicht mehr so.

Wenzel Oschington

Das klingt, als wäre das Straßenfest in diesem Jahr super angekommen.
Ja, hervorragend. Wir haben in diesem Jahr auf jeden Fall profitiert von dem Erfolg aus dem letzten Jahr. Unsere Facebook-Veranstaltung ging rum wie ein kleines Lauffeuer. Wir haben nicht viel Werbung gemacht, weil wir dafür auch gar kein Budget hatten und trotzdem strömten ab 14 Uhr die Menschen auf den Platz. Familien mit Kindern, Rentner, viele junge Leute – also wirklich querbeet. Das hat einfach super funktioniert.

Was kam bei Ihren Mitmach-Angeboten heraus? Was wünschen sich die Stadtfelder für Ihren Kiez?
Eindeutig mehr Aufenthaltsqualität und Grünflächen, aber auch eine bessere Infrastruktur für Radverkehr! Stadtfeld ist der bevölkerungsreichste Stadtteil, am dichtesten besiedelt und auch noch der jüngste – da kommen viele Bedürfnisse zusammen. Ansonsten wünschen sich die Leute bessere Regelungen für die Parkraumsituation. Das Ordnungsamt drückt leider viel zu häufig auch mal ein Auge zu, sodass die Bordsteine vollgestellt sind mit Autos. Da kommt man mit dem Rad dann nicht mehr so einfach durch die Stadt. Vor allem für Kinder und Ältere wird es dann gefährlich. Im Moment parken alle noch kostenlos vor ihrer Haustür.

Was ist denn aus der Idee geworden, eine verkehrsberuhigte Zone oder ein Shared Space dort einzurichten, wo 2017 das Fest stattfand?
Die Diesdorfer Straße, um die es geht, ist sechs Kilometer lang, völlig überdimensioniert mit zwei Fahrstreifen in jede Richtung und führt direkt durch ein Wohngebiet. Es gibt aber Ideen, wie man den Verkehrsraum dieser Straße neu aufteilen könnte: deutlich breitere Fußwege, Radwege – die gibt es dort nämlich bisher gar nicht –, auch Bäume für mehr Grün und ein richtiger Platz an der Stelle, wo wir uns im letzten Jahr die Kreuzung zurückerobert haben. Auch die Straßenbahn könnte dort halten. Mit dem Fest wollten wir letztes Jahr dieses Thema auch nochmal in Erinnerung rufen und zeigen, was möglich ist: Da ist eine riesengroße Kreuzung mit vier Fahrspuren und nirgendwo Platz für Menschen, Fahrräder und Kinder! Es gibt aber einfach viele Abhängigkeiten, die im Zuge der Ideenentwicklung noch gar nicht geprüft wurden. Grundsätzlich gesehen ist noch nichts vom Tisch. Ob das jetzt ein Shared Space wird oder etwas anderes… Fakt ist: Das kann so nicht bleiben, das ist baulich vertaner Raum.

Stimmt in Ihrem Fall das Sprichwort „Nach dem Fest ist vor dem Fest“? Ist für 2019 schon etwas in Planung?

Wenzel Oschington

Wir haben Ideen noch und nöcher. Ich mach das ja alles mit einem minikleinen Team. Wir sind zu zweit, neben mir noch eine studentische Mitarbeiterin. Letztes Jahr hatte ich um die 800 Euro Budget. Das wurde dieses Jahr glücklicherweise nochmal aufgestockt, weil das Fest so erfogreich war. Wenn man nicht viel Geld hat, muss man eben mehr Zeit in die Hand nehmen. Außerdem haben mich im letzten und auch in diesem Jahr Studierende aus dem Studiengang Cultural Engineering unterstützt, die ein Seminar zum Thema Raumdialog absolvierten – ohne sie wäre das alles gar nicht möglich gewesen. Mein Projekt läuft erst mal noch bis April 2019. Mal sehen, ob ich für den Mai noch ein Fest planen kann. Ideen haben wir aber sehr viele: vom Tinyhaus bis zum Badeschiff ist alles dabei (lacht). Ich schau natürlich auch immer: Was braucht der Stadtteil gerade? In diesem Jahr war es diese Brachfläche, die trotz Immobilienboom bis zum Baubeginn leer bleiben sollte. Da dachte ich mir: Warum nicht einfach mal aufschließen und die Leute machen lassen?

Zum Schluss noch eine kleine Abschlussfrage: Was macht für Sie persönlich ein lebenswerter Stadtteil aus?
Ein lebenswerter Stadtteil ist für mich ein Stadtteil, in dem Begegnung stattfinden kann. Menschen wollen nicht in ihren Häusern leben. Sie wollen draußen sein, zwischen den Häusern leben. Sie möchten Raum haben, in dem sie sich begegnen können, in dem man kommunizieren kann. Sie wollen Aufenthaltsqualität und Sicherheit. Für mich ist Lebensqualität im städtischen Raum vor allem auch, dass man Kinder und ältere Menschen sieht: auf dem Fahrrad, zu Fuß, wie auch immer. Auf jeden Fall so, dass sie sich gleichberechtigt zu allen anderen im Raum bewegen können. Der Städtebau der autogerechten Stadt ist hier in Magdeburg noch stark ausgeprägt, da bewegt sich leider noch nicht so viel. Lebenswerte Stadt heißt für mich deshalb genau das: Dass die Städte für Menschen gebaut sind und nicht für Autos.

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